Harald Klingelhöller: Ich bin hier, Du bist hier 2001

  • Harald Klingelhöller: Ich bin hier, Du bist hier, 2001 / © Harald Klingelhöller; Fotonachweis: BBR / Stefan Müller (2001)

    Harald Klingelhöller: Ich bin hier, Du bist hier, 2001 / © Harald Klingelhöller; Fotonachweis: BBR / Stefan Müller (2001)

  • Harald Klingelhöller: Ich bin hier, Du bist hier, 2001 / © Harald Klingelhöller; Fotonachweis: BBR / Achim Kukulies

    Harald Klingelhöller: Ich bin hier, Du bist hier, 2001 / © Harald Klingelhöller; Fotonachweis: BBR / Achim Kukulies

Das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland bezog 1999 das Haus am Werderschen Markt in Berlin. Der von Hans Kollhoff sanierte Altbau, ein Flügelbau mit sechs Höfen und fünf Dachterrassen, wurde um einen Kubus der Architekten Thomas Müller und Ivan Reimann ergänzt. Die Bedeutung der Bauunternehmung zog entsprechende Anstrengungen hinsichtlich der Kunst am Bau nach sich. In Befolgung des Kunstkonzeptes des Kunstbeirates der Bundesregierung für die Baumaßnahmen des Bundes wurden für mehrere Standorte dieses Ministeriums Kunst-am-Bau-Aufträge vergeben beziehungsweise entsprechende Wettbewerbe ausgerichtet. Die Auslobungen betonten die Bedeutung der Kunst gerade für das Auswärtige Amt: „Die vergrößerte Bundesrepublik Deutschland wird sich ab 1999 in diesen Bauten darstellen. Hier kommt der Kunst eine weit über die übliche »Kunst am Bau-Praxis« hinausgehende zentrale Funktion zu. Nicht nur die Neuinterpretation der Bauten durch die Architekten, sondern ebenso die sie stützende und erweiternde Kunst, ihre visuellen Angebote zu Reflexion und Erleben, werden das Bild, das sich die Welt von der Bundesrepublik macht, prägen.“
Nach dem Wettbewerb für die Gestaltung der Dachterrassen und der Höfe des Altbaus wurden vier Arbeiten ausgewählt: Trak Wendischs „Seiltänzer” im Luftraum des Innenhofes, Hubert Kiecols Stelen und Allee auf der großen Dachterrasse sowie von Stephan Balkenhol Skulpturen für die östliche Dachterrasse vor der internationalen Begegnungsstätte. Auf dem schmalen seitlichen Gang zwischen der Fensterfront dieser Begegnungsstätte und der Brüstung findet sich der Kunstbeitrag von Harald Klingelhöller: drei zunächst rätselhaft erscheinende steinerne Buchstabenblöcke, die wie eben einmal kurz abgestellt wirken. Andererseits aber sind die Buchstaben erkennbar durch Stützen so arretiert, dass die Dauerhaftigkeit ihrer Platzierung unumstritten ist und zum integralen Thema der Skulptur wird. Das Werk kennzeichnet eine pointierte Zwiespältigkeit. Indem die Buchstaben Buchstaben bleiben, vereinzelt, ohne Zusammenhang und Sinn, legt die Arbeit eine Abstraktheit an den Tag, die durch die Verwendung ausgerechnet von Buchstaben gleichzeitig und unmittelbar konterkariert wird – denn auch wenn die Buchstaben weder Worte erkennen lassen noch ein syntaktisches Gefüge, so bilden sie doch die Voraussetzung dazu und tragen dieses Potential in sich. Der Titel der Arbeit klärt auf, zu welcher Aussage die Buchstaben kombiniert werden können: „Ich bin hier, Du bist hier“. Das Nahelegen und Suggerieren von Bedeutung über Buchstaben, das Wort, die Sprache wird flankiert von der Anordnung der Buchstaben in drei voneinander distanzierten Blöcken. Diese wiederum paraphrasieren die sprachliche Struktur und visualisieren den Inhalt: nämlich die Anwesenheit eines Ich und Du und deren hier räumlich sichtbar gemachte persönlich-individuelle Distanz. Ohne die Information des Titels als unablösbarem Werkbestandteil bleiben diese gebündelten Stein-Agglomerate kryptisch. Doch die Arbeit schafft den Spagat zwischen einer „Formalkunst“ und einer „Bedeutungskunst“. Dabei spaltet sie die Kunst in beide Sphären auf, so dass man die Skulptur – die sinnliche Präsenz des Materials, die Kombination von Anröchter Dolomit und beschichtetem Edelstahl und auch die im Umriss zwar grafische, aber doch volumenbildende Formgebung der Buchstaben – mit Gewinn auch ganz abstrakt wahrnehmen kann.
Zum konzeptuellen Wesen dieser Arbeit gehört es, dass sie trotz ihrer ästhetischen Prägnanz als Kunst am Bau zur unmittelbaren Umgebung nur wenig Kontraste aufbaut. Die im Titel kommunizierte „literarische“ Thematik lässt einen ganz allgemeinen Bezug zu den Aufgaben des Auswärtigen Amtes erkennen. Vor allem aber bleibt es bei einer existentiellen Betrachtung und künstlerischen Grundlegung, die weit über emblematische Aphoristik und Sinnbildlichkeit hinausgeht.

Weiterführende Literatur Online:
Martin Seidel / Johannes Stahl (Autoren), Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) (Hrsg.): Kurzdokumentation von 200 Kunst-am-Bau-Werken im Auftrag des Bundes von 1980 bis 2010. BBSR-Online-Publikation 13/2014, Bonn, Dezember 2014.

Weiterführende Literatur:
Kunst am Bau. Die Projekte des Bundes in Berlin, hrsg. v. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen (BMVBW), Berlin 2002, S. 104-105.


Installation
Anröchter Dolomit, Edelstahl, schwarz beschichtet
je Dolomitblock ca. 110 x 70 x 11 cm
141.117 €
Kolloquium mit 12 Teilnehmern

Altbau (ehem. Reichsbank)
Brüstung der Dachterrasse 5 zu Hof 4
nicht öffentlich zugänglich/einsehbar

Künstler : Harald Klingelhöller

Der Bildhauer Harald Klingelhöller, geboren 1954 in Mettmann, studierte an der Kunstakademie Düsseldorf und ist seit 1993 Professor für Bildhauerei an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe. Er nahm 1992 an der documenta IX teil. 2013 erhielt Klingelhöller gemeinsam mit dem Kunstkritiker Günther Wirth den Kulturpreis Baden-Württemberg. Der Künstler setzt sich in seinen Skulpturen insbesondere mit den Beziehungen zwischen sprachlichem Denotat und bildkünstlerischer Form auseinander. Häufig bilden Buchstaben das bildhauerische Material und eröffnen der Wahrnehmung neue Räume.

Altbau (ehem. Reichsbank)

Architektur: Heinrich Wolff
Bauzeit: 1935-1939

Auswärtiges Amt
Werderscher Markt 1
10117 Berlin

Der als Erweiterung der Reichsbank 1935-39 von Heinrich Wolff errichtete Bau wurde nach 1945 vom Berliner Stadtkontor genutzt und war ab 1949 Sitz des DDR-Finanzministeriums und ab 1959 auch des Zentralkomitees der SED. 1996-99 wurde er für das Auswärtige Amt durch Kollhoff Architekten denkmalgerecht hergerichtet und umgebaut.

Weitere Kunstwerke: Auswärtiges Amt, Berlin