Ansgar Nierhoff: Die Bastion 1981
Zwischen der skulptural geprägten Architektur der Staatsbibliothek von Hans Scharoun und der Skulpturenterrasse der Neuen Nationalgalerie von Ludwig Mies van der Rohe eine bildhauerische Position entwickeln zu wollen, ist ein ehrgeiziges und gewagtes Unterfangen, besonders für ein Kunst-am-Bau-Projekt. Ansgar Nierhoff hat für diese schwierige Vorfeldsituation eine eigene Schlussfolgerung gezogen. Seine Arbeit mit dem bezeichnenden Titel „Die Bastion“ nutzt das bereits von Scharoun mit Hermann Mattern gemeinsam als Freiraum gestaltete Gelände mit den unregelmäßigen Bodenerhebungen zur Potsdamer Straße hin als eine Art flaches Vorwerk – ganz so wie es eine Festungsarchitektur anstellen könnte. Kleine Geländestufen sind mit einem steinernen Mauervorsprung konturiert, fallen zur Staatsbibliothek hin ab und bieten eine Sitzgelegenheit. Die „dem Geländeanstieg entgegengesetzte Höhenentwicklung sind meine Mittel, um Meßbares und Wägbares in Gedanken zu überführen“, führt der Künstler in seinem Erläuterungsbericht aus. Die Kulturachse, die der Architekt Scharoun für seine Wiederaufbauplanung von Berlin konzipiert hatte, bildet eine Rahmenbedingung, eine wichtige Vorgabe für Nierhoff und entspricht den synergetischen Wechselwirkungen zwischen Kunst und Bau, die für Scharoun wichtig waren.
Drei Quader aus massivem Stahl in unterschiedlichen Positionen sind die Hauptelemente von Nierhoffs Arbeit. Sie weisen in für ihn typischer Weise Werkspuren einer mechanischen Bearbeitung mit großem Schmiedewerkzeug auf, wirken aber vor allem durch ihre einheitlich roh belassene Oberfläche. Eine deutliche Spannung baut Nierhoff durch die Platzierung dieser Quader auf. Sie sind jeweils in Richtung zu den Hauptbauten des Kulturforums ausgerichtet, auf Philharmonie, Neue Nationalgalerie und Staatsbibliothek. Dabei steht der letztere als einziger, die beiden anderen liegen im Boden vertieft auf Steinlagen und sind von diesen Steinen so eingefasst, dass neben ihnen etwa das gleiche Volumen im Boden frei bleibt. Mit den Raumzeichen und etwa doppelt so großen Gruben findet Nierhoff zu einer abstrakten Zeichensetzung, die sich nicht zuletzt in ihrer massiv-dunklen und gewissermaßen naturbelassenen Materialität gegenüber der goldenen Haut von Scharouns Bücherschrein behauptet. Indem die gesamte Anlage gegenüber der Potsdamer Straße abfällt, stellt sie für die Staatsbibliothek auch einen eigenen, friedlichen, offenen Schutzraum dar, der durchaus auch als Ruhefläche im Außenraum gedacht ist und hier dem Titel der Arbeit „Die Bastion“ noch eine neue, atmosphärische Bedeutung zuteilt. MS/JS
Weiterführende Literatur Online:
Martin Seidel / Johannes Stahl (Autoren), Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) (Hrsg.): Kurzdokumentation von 200 Kunst-am-Bau-Werken im Auftrag des Bundes von 1980 bis 2010. BBSR-Online-Publikation 13/2014, Bonn, Dezember 2014.
Weiterführende Literatur:
Wilk, Barbara: „Die Bastion“ von Ansgar Nierhoff („Kunst am Bau“ der Staatsbibliothek, Folge 1), in: Mitteilungen der SBPK 18.1986,3 S. 171 ff.
Horst Rave: Bau Kunst Verwaltung. Dokumentation Ergänzungsfonds des Bundes 1977 bis 1984, hg. v. Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Karlsruhe 1984, S. 132.
Freiplastik / Skulptur
Stahlblöcke, mit Maggia-Granit ausgekleidete Gruben
Stahlblöcke je 300 x 55 x 55 cm, Gruben auf Rasenfläche je 300 x 110 x 37, 5 cm
76.694 €
nicht-offener Wettbewerb / Einladungswettbewerb mit 5 Teilnehmern
Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße
Freigelände zur Potsdamer Straße
öffentlich zugänglich/einsehbar
Künstler : Ansgar Nierhoff
Ansgar Nierhoff (1941 Meschede – 2010 Köln) machte 1960 seinen Gesellenbrief für das Maurerhandwerk und anschließend Abitur. Er studierte 1964-69 an der Kunstakademie Düsseldorf und war Meisterschüler von Norbert Kricke. Er erhielt den Villa-Romana-Preis und nahm 1977 an der documenta 6 teil. 1983 arbeitete Nierhoff zeitweise als Assistent von George Rickey in dessen New Yorker Atelier. 2000 wurde er mit dem August-Macke-Preis ausgezeichnet. Nierhoff wirkte 1988-2008 als Professor an der Akademie für Bildende Künste der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Der Bildhauer schuf einige wichtige Werke im Bauzusammenhang: für die Universität der Bundeswehr Hamburg 1976, in Bonn für das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz 1978, das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 1980 und das Bundesministerium der Verteidigung 1988, in Berlin für das Robert Koch-Institut 1980 und die Staatsbibliothek 1982 sowie die Physikalisch-Technische Bundesanstalt in Braunschweig 1992. Nierhoffs letztes Werk war das 2010 posthum enthüllte Mal der KZ-Gedenkstätte Ladelund.
Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße
Architektur: Hans Scharoun (1967-1972) mit Edgar Wisniewski
Bauzeit: 1967-78
Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße
Potsdamer Straße 33
10785 Berlin
1963 Auslobung eines Einladungswettbewerbs für den Neubau einer Bibliothek in Berlin (West), aus dem Hans Scharoun als Sieger hervorging. Im Oktober 1967 erfolgte die Grundsteinlegung für den Neubau an der Potsdamer Straße, der nach dem Tod von Scharoun 1972 durch Edgar Wisniewski und die Bundesbaudirektion weitergeführt und 1978 fertiggestellt wurde.