Gerhard Richter: Schwarz Rot Gold 1998
In der Westeingangshalle wird der Besucher des Reichstagsgebäudes von Kunstwerken Gerhard Richters empfangen. Der Künstler stand vor der schwierigen Aufgabe, sich mit seinem Werk gegen eine 30 Meter hohe Wand zu behaupten. Gerhard Richter hat an der einen Wand der Westeingangshalle ein Farbkunstwerk von 21 Meter Höhe und drei Meter Breite in den Farben Schwarz-Rot-Gold gestaltet. Die Farben wurden auf die Rückseite großer Glastafeln aufgetragen und erinnern - nicht ohne Hintersinn - an die Farben der deutschen Bundesflagge. Aber sowohl das hochrechteckige Format als auch die spiegelnden Glasflächen (in denen sich von einem bestimmten "point de vue" aus die reale Bundesflagge vor dem Reichstagsgebäude spiegelt) machen deutlich, dass es sich nicht um die Abbildung einer Flagge handelt, sondern um ein autonomes Farbkunstwerk und der Künstler durch die Wahl und die Zusammenstellung der Farben eine den Betrachter irritierende "Wahrnehmungsfalle" aufgestellt hat.
Richter gelingt es, mit der auf die Wandproportionen abgestimmten Größe seiner Arbeit und mit sparsamen Mitteln ein farbiges Gegengewicht zur Dominanz der Architektur in der Westeingangshalle zu schaffen und dem Auge des Betrachters einen Ruhepunkt in der belebten Halle zu bieten. Trotz ihrer Monumentalität fehlt der Arbeit jedes Pathos. Vielmehr spiegelt die Fragilität der Glasscheiben im materiellen und im übertragenen Sinne das stets gefährdete und daher stets neu zu gestaltende und zu schützende demokratische Gemeinwesen wider.
Gerhard Richter studierte zunächst an der Kunstakademie in Dresden und siedelte 1961 in die Bundesrepublik Deutschland über. Zusammen mit Konrad Lueg und Sigmar Polke trat er 1963 mit dem Happening einer "Demonstration für den Kapitalistischen Realismus" öffentlich in Erscheinung, die "erste Ausstellung deutscher Pop-Art", mit der er sich gegen die vorherrschende abstrakte Malerei der Zeit wandte. Im Gegensatz zur amerikanischen Pop-Malerei war seine Hinwendung zum Lebensalltag allerdings von einer Stil und Bedeutungsinhalte infrage stellenden Ironie gekennzeichnet. Zunächst ging er von zufällig entdeckten Fotos oder Zeitungsausschnitten aus, die er, schwarz-weiß und unscharf dargestellt, auf die Leinwand übertrug. In der Folge vermied er jede stilistische Festlegung und malte gleichermaßen virtuos Porträtbilder, abstrakte Vergrößerungen von Malstrukturen, monochrome Graubilder, Farbtafeln oder Landschaften bis hin zu Stillleben. Sein Werk "Schwarz Rot Gold" weist auf die zentrale Thematik seines Schaffens hin, die sich in der Vielfalt seiner Techniken und Motive immer wieder spiegelt, nämlich auf die Fragestellung, was in der Moderne Bildgegenstand sein kann und worüber eine Verständigung zwischen Maler und Betrachter möglich ist.
Andreas Kaernbach
Weiterführende Literatur Online:
60 Jahre Kunst am Bau, hrsg. v. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS), Berlin 2010.
Weiterführende Literatur:
Kunst im Reichstagsgebäude, im Auftrag des Deutschen Bundestages hrsg. von Götz Adriani, Andreas Kaernbach und Karin Stempel, Köln 2002.
Installation
farbemailliertes Glas
2072 x 317 x 0,8 cm
204.517 €
Direktvergabe
Reichstagsgebäude
Eingangshalle West, Nordwand
nicht öffentlich zugänglich/einsehbar
Künstler : Gerhard Richter
Gerhard Richter (* 1932 in Dresden; lebt in Köln) ist Maler, Bildhauer und Fotograf. Er studierte von 1951 bis 1956 an der Dresdner Kunstakademie und 1961 bis 1963 an der Kunstakademie in Düsseldorf, wo er von 1971 bis 1993 auch eine Professur für Malerei innehatte. In Ablehnung der etablierten Kunstrichtungen begründete Richter mit Konrad Lueg, Sigmar Polke und Manfred Kuttner in den Sechzigerjahren den „Kapitalistischen Realismus“ als einen Stilmix, für den – nach der damaligen Aussage der Beteiligten – „Begriffe wie Pop-Art, Junk Culture, imperialistischer oder Kapitalistischer Realismus, neue Gegenständlichkeit, Naturalismus, German Pop und einige ähnliche kennzeichnend sind.” Bis heute lassen sich die Werke Richters nicht auf Stilrichtungen festlegen und zeigen ein breites Spektrum künstlerischer Ansätze. Richter ist einer der renommiertesten Künstler weltweit. Er war vielfach Teilnehmer der documenta in Kassel und der Biennale Venedig und erhielt etliche wichtige Auszeichnungen, darunter den Kaiserring der Stadt Goslar (1988), den Goldenen Löwen der Biennale Venedig (1997) sowie den Praemium Imperiale (1997). Besonders bekannte Werke von ihm sind der Akt „Ema“ (1966), der viel diskutierte „Stammheim-Zyklus“ (1988) und die mit Isa Genzken erarbeitete Gestaltung der U-Bahn Station König-Heinrich-Platz in Duisburg (1988-1992). Kunst am Bau realisierte Richter für das Reichstagsgebäude in Berlin (1999) und den Kölner Dom (2007).
Reichstagsgebäude Berlin
Architektur: Paul Wallot
Bauzeit: 1884-1894
Deutscher Bundestag
Platz der Republik 1
11011 Berlin
1884-1894 für den Reichstag des Deutschen Kaiserreiches und den der Weimarer Republik errichtet, 1920 trat darin der erste demokratisch gewählte Reichstag zusammen. Durch Reichstagsbrand 1933 und Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, Wiederaufbau in den 1960er Jahren durch Paul Baumgarten. 1993 Wettbewerb für den Umbau des Reichstags, den der britische Architekt Norman Foster gewann. Seit 1999 Sitz des Deutschen Bundestages und auch der Bundesversammlung, die den deutschen Bundespräsidenten wählt.