Bernhard Heiliger: Kosmos 70 1970

  • Bernhard Heiliger: Kosmos 70, 1970 / © VG Bild-Kunst, Bonn; Fotonachweis: Archiv BBR

    Bernhard Heiliger: Kosmos 70, 1970 / © VG Bild-Kunst, Bonn; Fotonachweis: Archiv BBR

  • Bernhard Heiliger: Kosmos 70, 1970 / © VG Bild-Kunst, Bonn; Fotonachweis: Archiv BBR

    Bernhard Heiliger: Kosmos 70, 1970 / © VG Bild-Kunst, Bonn; Fotonachweis: Archiv BBR

  • Bernhard Heiliger: Kosmos 70, 1970 / © VG Bild-Kunst, Bonn; Fotonachweis: Archiv BBR

    Bernhard Heiliger: Kosmos 70, 1970 / © VG Bild-Kunst, Bonn; Fotonachweis: Archiv BBR

  • Bernhard Heiliger: Kosmos 70, 1970 / © VG Bild-Kunst, Bonn; Fotonachweis: Archiv BBR

    Bernhard Heiliger: Kosmos 70, 1970 / © VG Bild-Kunst, Bonn; Fotonachweis: Archiv BBR

Das durch Brand und Kriegseinwirkungen teilweise zerstörte Reichstagsgebäude in Berlin von Paul Wallot wurde 1959-69 durch Paul Baumgarten umgebaut. Er relativierte das neobarocke Gründerzeitpathos des Äußeren durch seine nüchterne Umgestaltung im Inneren. Blaugrauer Granitboden, weiße Wände, viel Licht und Glas sowie klare Konturen bestimmten den Eindruck. Im Hauptgeschoss waren der Plenarsaal, die Osthalle und der westliche Säulenportikus zu einer großen Raumeinheit zusammengefasst und lediglich durch eine große Glaswand getrennt.
1965 beauftragte die Bundesbaudirektion Berlin eine Reihe von Künstlern mit Kunstwerken zur Ausschmückung des Gebäudes, darunter den damals wichtigsten deutschen Bildhauer Bernhard Heiliger mit dem Entwurf einer Großskulptur. Heiliger hatte bereits 1963 an einer Idee gearbeitet, da ihn Paul Baumgarten schon im Architekturwettbewerbsentwurf für die künstlerische Gestaltung des Westfoyers vorgeschlagen hatte. Er entwarf eine monumentale, „transparente Reliefplastik“ aus Plexiglas und Aluminium. Sie sollte zunächst direkt an der großen Glaswand zwischen Plenarsaal und Vorhalle angebracht werden. In der Überarbeitung wurde sie von der Wand abgerückt und zu einer frei schwebenden, zweiteiligen Hängeskulptur aus Aluminium über den Treppen der Vorhalle.
Der Entwurf wurde umgesetzt, obwohl es wegen der Höhe des Künstlerhonorars eine langjährige Auseinandersetzung zwischen der Bundesbaudirektion und dem federführenden Bundesschatzministerium gab. Von den zunächst vom Künstler veranschlagten 950.000 DM, die er später auf 750.000 DM reduzierte, beanspruchte Heiliger die Hälfte als Honorar – das höchste Künstlerhonorar in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Bundesbaudirektion ging auf das Angebot ein; 1967 begründete sie diese Entscheidung mit dem notwendigen Zusammenspiel von Kunst und Architektur: „Der Entwurf Baumgarten für die Gestaltung der Vorhalle und des Plenarsaales im Reichstag ist angewiesen auf die monumentale Plastik von Heiliger. Ohne diese Plastik ist der Entwurf Baumgarten kaum zu verwirklichen. Architektur und Plastik gehen eine Einheit ein, die zwingend ist. Die bereits getroffene Entscheidung für die Ausführung des Entwurfes Baumgarten schließt auch die Entscheidung für die Ausführung der Plastik ein. Prof. Baumgarten und Prof. Heiliger haben von Anfang an ihre räumlichen und plastischen Vorstellungen gemeinsam erarbeitet.“ Auch die mit der modernen Ästhetik einhergehende ideologische Bedeutung im Ost-West-Gegensatz wurde von der Bundesbaudirektion ins Feld geführt: „Dass ein solches Beispiel neuzeitlicher Kunstauffassung, kühn und vital in der Konzeption, gerade in Berlin unmittelbar an der Sektorengrenze gegeben wird, ist besonders hervorzuheben.“
1970 wurde die zweiteilige Arbeit mit einigem Abstand vor der Glaswand in der Vorhalle angebracht. Die nun Kosmos 70 genannte Skulptur wurde poliert und teilweise rot gefasst. Sie reichte bis zur Decke und breitete sich horizontal aus. Die größere linke Form und die kleinere rechte Form setzten sich aus einzelnen, aus Aluminium gegossenen, scheibenhaften Körpern zusammen, die durch ein linienhaftes Stangensystem verbunden sind. Anders als die aus Stein gehauenen oder in Bronze gegossenen Großskulpturen Heiligers wirkte diese Skulptur sehr neuartig, fragil und innovativ - sie war ein einzigartiges, vom Künstler zusammengesetztes Original.
Nach der Wiedervereinigung wurde 1994 das Reichstagsgebäude für die Nutzung als Parlamentsgebäude des Deutschen Bundestags in der neuen Hauptstadt Berlin von Sir Norman Foster umgebaut. Auf Wunsch des Architekten wurde die Skulptur von Bernhard Heiliger entfernt. Kosmos 70 wird zukünftig im Eingangsbereich des Erweiterungsbaus des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses auf der Ostseite der Spree eine neue Heimat finden. CB

Weiterführende Literatur Online:
70 Jahre Kunst am Bau in Deutschland, Ausstellungskatalog, hrsg. v. Bundesministerium des Innern für Bau und Heimat und dem Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, Berlin 2020
Claudia Büttner / Christina Lanzl (Autoren), Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) (Hrsg.): Kurzdokumentation von 200 Kunst-am-Bau-Werken im Auftrag des Bundes von 1950 bis 1979. BBSR-Online-Publikation 12/2014, Bonn, Dezember 2014.

Weiterführende Literatur:
Bundesschatzministerium, Bundesbauverwaltung (Hg.), 1964: Stein auf Stein. Berlin, Wien.
Deutscher Bundestag, Sekretariat des Kunstbeirats, Kaernbach, Andreas (Hg.), 2013: Kunst im Deutschen Bundestag, Bernhard Heiliger. Berlin.
Heiliger, Bernhard, 1.10.2013, Zugriff; http://www.berndhard-heiliger-stiftung.de
Leuschner, Wolfgang, 1963: Reichstagsgebäude in Berlin, Die Bauverwaltung, 12. Jg. (12), S. 627-629.
Seggelke, Herbert; Blacher, Boris, 1970: Kosmos. Dokumentarfilm.


Freiplastik / Skulptur
Aluminium, teilweise farbig gefasst
1514 x 388 x 900 cm
383.469 €
Direktvergabe

Reichstagsgebäude
ehem. Westfoyer / Treppenhaus vor dem Plenarsaal im Reichstagsgebäude
nicht öffentlich zugänglich/einsehbar
Kunstwerk ist zurzeit eingelagert

Künstler : Bernhard Heiliger

Bernhard Heiliger (1915 Stettin - 1995 Berlin) war ein deutscher Bildhauer. Nach einer Steinbildhauerlehre in Stettin und einer Ausbildung an der Stettiner Werkschule für Gestaltende Arbeit studierte er an der Vereinigten Staatsschule für Freie und Angewandte Kunst in Berlin bei Arno Breker. Mit Hans Uhlmann und Karl Hartung begründete er nach 1945 den Ruf der deutschen Bildhauerei. Heiliger nahm an zahlreichen internationalen Ausstellungen, u.a. an der ersten documenta in Kassel und an der Biennale di Venezia, teil und erhielt namhafte Preise. Zudem hatte er Lehraufträge an der Hochschule für Angewandte Kunst in Berlin-Weißensee sowie an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste in Berlin-Charlottenburg inne. Heiliger schuf unter anderem Werke für den Ernst-Reuter-Platz in Berlin, die Deutsche Botschaft in Paris, die Villa Hammerschmidt in Bonn und das Reichstagsgebäude in Berlin.

Reichstagsgebäude

Architektur: Paul Wallot
Bauzeit: 1884-1894

Deutscher Bundestag
Platz der Republik 1
11011 Berlin

1884-1894 für den Reichstag des Deutschen Kaiserreiches und den der Weimarer Republik errichtet, 1920 trat darin der erste demokratisch gewählte Reichstag zusammen. Durch Reichstagsbrand 1933 und Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, Wiederaufbau in den 1960er Jahren durch Paul Baumgarten. 1993 Wettbewerb für den Umbau des Reichstags, den der britische Architekt Norman Foster gewann. Seit 1999 Sitz des Deutschen Bundestages und auch der Bundesversammlung, die den deutschen Bundespräsidenten wählt.

Weitere Kunstwerke: Deutscher Bundestag, Berlin

Weitere Kunstwerke: Heiliger, Bernhard