Franka Hörnschemeyer: BFD - bündig fluchtend dicht (Raumlabyrinth) 2001
Franka Hörnschemeyer hat für einen der nördlichen Höfe des Paul-Löbe-Hauses eine Raumskulptur aus Gitterwänden geschaffen. Die rot- und gelblackierten Eisengitter sind so ineinandergeschoben, dass ein verspieltes und filigranes Raumlabyrinth entsteht, welches die Idee des gärtnerisch gestalteten Heckenlabyrinths aufgreift und neu formuliert. Fünf türgrosse Öffnungen laden ein, dieses Labyrinth zu betreten. Es gibt Wege, die hinein- und hinausführen, Räume, die durchquert werden können, aber auch Sackgassen oder geschlossene Kammern. Dank der Gitterstruktur wirkt das Raumgefüge leicht und transparent und öffnet zahlreiche Blickachsen, so dass bei demjenigen, der das Labyrinth betritt, nie der Eindruck entsteht, in einem wirklich abgeschlossenen Raum zu sein.
Die Gitterwände sind Schalelemente, die zum Herstellen von Wänden im Betonguss verwendet werden. Schalschlösser mit der bautechnischen Bezeichnung "BFD" halten die Gitter zusammen. Was sonst als bloßes Element zur Herstellung von Wänden dient, ist hier selbst Wand geworden. Die Künstlerin hat die hölzerne Schalhaut entfernt, so dass nur die metallene Gitterstruktur erhalten geblieben ist. Die Gitter bilden verschiedene Teile von Grundrissen der ehemaligen und jetzigen Bebauung des Spreebogenbereiches nach, nämlich sowohl die Grundrisse von inzwischen verschwundenen östlich gelegenen Mauerteilen, Bauen und Hundezwingern der DDR-Grenztruppen als auch Teile vom Grundriss des Paul-Löbe-Hauses. Durch eine axiale Verschiebung sind Grundrisselemente der einstigen und der gegenwärtigen Bebauung miteinander verschränkt – gleichsam schicksalhaft verklammert. So überlagern sich Vergangenheit und Gegenwart, die politische Entwicklung des Ortes wird reflektiert, wird im unmittelbaren Wortsinne greifbar und begreifbar.
Da die Schalelemente echte Baumaterialien sind, erinnern sie auf den ersten Blick an den Prozess des Baugeschehens. Mit diesem Eindruck spielen sie auf den Bau des Paul-Löbe-Hauses an und setzen den mächtigen Baukörpern von Kanzleramt und Paul-Löbe-Haus den Charme des Vergänglichen und Unfertigen entgegen. Auch die Assoziation an Klettergerüste und Spielgeräte liegt nicht fern. Darüber hinaus wird jedoch mit der magischen Figur eines Labyrinths, das in der Mythologie und Kunst des Abendlandes auf eine lange Tradition zurückblicken kann, die Frage nach dem rechten Weg aufgeworfen – ein im politischen Raum gleichermaßen spielerischer und doch ernsthafter gedanklicher Anstoß.
Die in Osnabrück geborene Künstlerin lebt und arbeitet in Berlin. In ihren Skulpturen gestaltet sie architektonisch anmutende Raumgefüge, oft aus bereits gebrauchten Baumaterialien. Diese Raumskulpturen sind begehbar und werden für den Betrachter erst beim Umschreiben bzw. Durchschreiten erfahrbar. Die Verwendungen von rauhem Material, das noch Spuren seiner Bearbeitung erkennen läßt, erinnert an ein Ready-made, greift Ansätze der Arte povera sowie des Minimalismus auf und stellt sie zugleich ironisch in Frage.
Andreas Kaernbach
Weiterführende Literatur Online:
60 Jahre Kunst am Bau, hrsg. v. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS), Berlin 2010.
Installation
rote und Gelbe Schalelemente aus Stahl und Aluminium
250 qm (Breite: 13,4m x Tiefe 19,8 m)
77.103 €
Kolloquium mit 20 Teilnehmern
Paul-Löbe-Haus
Innenhof Nord 2.5
öffentlich zugänglich/einsehbar
Künstlerin : Franka Hörnschemeyer
Franka Hörnschemeyer (* 1958 in Osnabrück), studierte 1981-87 an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. 1988 ermöglichte ihr ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) einen Aufenthalt in New York, 1990 folgte ein Stipendium der Stiftung Kunstfonds, 1992 das Karl-Schmidt-Rottluff-Stipendium und 1994 das Friedrich Vordemberge-Stipendium der Stadt Köln. Nach Gastprofessuren an der Kunstakademie Karlsruhe und am California Institute of the Arts (CalArts) in Valencia, Los Angeles sowie einem Fellowship am Henry Moore Institute in Leeds erhielt sie 2009 eine Professur an der Hochschule für Künste Bremen. Seit 2015 ist sie Professorin für Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf. Für ihre meist raumgreifenden Arbeiten und begehbaren Installationen erhielt sie mehrere Preise, u.a. 2006 den Kunstpreis der Stadt Nordhorn und 2011 den mfi Preis für Kunst an öffentlichen Orten. Wichtige Arbeiten im öffentlichen Raum bzw. Kunst am Bau realisierte sie für die Landesversicherungsanstalt in Münster (Kiosk und Doppelgänger 1998) und den Deutschen Bundestag in Berlin (BFD-bündig fluchtend dicht, 2001) sowie für die Stadt Dresden (Trichter an der Seestraße, 2011).
Paul-Löbe-Haus Berlin
Architektur: Stephan Braunfels, München
Bauzeit: 1997-2001
Deutscher Bundestag
Platz der Republik 1
11011 Berlin
Das nach dem den Reichstagspräsidenten und Alterspräsidenten des ersten Deutschen Bundestags benannte Paul-Löbe-Haus wurde auf dem Gelände des ehemaligen Alsenviertels am Südrand des Spreebogenparks errichtet. 1994 wurde hierfür ein Realisierungswettbewerb ausgelobt, den der Münchner Architekt Stephan Braunfels mit seinem Entwurf für das Paul-Löbe- und Marie-Elisabeth-Lüders-Haus gewann.