Dani Karavan: Grundgesetz 49 2002

  • Dani Karavan: Grundgesetz 49, 2002 / © Dani Karavan; Fotonachweis: BBR / Martin Classen (2002)

    Dani Karavan: Grundgesetz 49, 2002 / © Dani Karavan; Fotonachweis: BBR / Martin Classen (2002)

  • Dani Karavan: Grundgesetz 49, 2002 / © Dani Karavan; Fotonachweis: DBT / Jens Liebchen (2002)

    Dani Karavan: Grundgesetz 49, 2002 / © Dani Karavan; Fotonachweis: DBT / Jens Liebchen (2002)

Unmittelbar an der Spreepromenade verbinden 19 jeweils ungefähr drei Meter hohe Glasscheiben einen Außenhof des Jakob-Kaiser-Hauses mit dem Uferbereich. In die Glasscheiben sind die 19 Grundrechtsartikel des Grundgesetzes mit Laser eingraviert. Die Grundrechtsartikel schweben gleichsam in Augenhöhe vor dem Haus der Fraktionen, dem Jakob-Kaiser-Haus. Auf diese Weise hat der israelische Künstler Dani Karavan mit seinem "Grundgesetz 49" benannten Werk eine auch konzeptionell auf den Ort des Parlamentes bezogene Installation geschaffen, in der das Wort als Gesetz im Mittelpunkt steht. Diese Idee verbindet seine Installation mit den "Wortkunstwerken" in den angrenzenden Parlamentsbauten: mit den Leuchtschriftbändern Jenny Holzers im Reichstagsgebäude, auf denen Parlamentsreden optisch als Texte ablaufen. Ferner mit den Metallintarsien im Boden der Halle des Paul-Löbe-Hauses, für die Joseph Kosuth Zitate von Thomas Mann und Ricarda Huch ausgesucht hat und mit der Neoninstallation von Maurizio Nannucci in der Bibliotheksrotunde im Marie-Elisabeth- Lüders-Haus. Deren blau leuchtende Sätze regen zum Philosophieren über die Bedingungen von Gleichheit und Freiheit an.
Der entscheidende Grundgedanke für die Installation vor dem Jakob-Kaiser-Haus war die Überlegung Karavans, mit Hilfe jener meterhohen Glasplatten - anstelle von Gittern oder Brüstungen - eine Verbindung des Hofes zur Spreepromenade zu schaffen, die ein hohes Maß an Sichtdurchlässigkeit gewährleistet. Aus dem Hofbereich heraus entwickeln sich unter diesen Glasplatten hindurch strahlenförmige Bodenstrukturen, von Cortenstahlbändern eingefasste Grasstreifen, bis zum Spreeufer. Aus der Alleenreihe der Bäume entlang der Spree ist einer der Bäume, die Glaswand gleichsam überspringend, in den Hofbereich versetzt. Zum Hof hinauf vom Jakob-Kaiser-Haus her führt eine Treppenanlage, die in sechs - technisch ohnehin notwendigen - Abluftkaminen gipfelt. Dani Karvan lässt sie wie die Schornsteine eines gestrandeten Dampfers aus dem Boden ragen und zugleich die strahlenförmige Linienführung betonen. Durch diese raumgreifende Gestaltung wird Karavans Vorliebe für Grenzüberschreitungen im Ästhetischen sichtbar: Architektur und Landschaft, also Parlamentsbauten, Spree und Spreebogen, verschmelzen zu einer neuen ästhetischen Einheit.
Dass auf jeder der 19 Glasplatten eines der 19 Grundrechte des Grundgesetzes in der Fassung aus dem Jahre 1949 zu lesen ist, erweitert die raumgestaltende formale Konzeption des Künstlers um ein inhaltliches Element von wesentlicher Bedeutung. Diese 19 Grundrechtsartikel, unmittelbar an der Spree gesetzt, die einst Ost- und Westberlin trennte, erinnern an die schwierigen Jahre der Gründung der jungen deutschen Demokratie in Bonn. Sie mahnen, die wiedererlangte Einheit nicht als ungefährdete Selbstverständlichkeit und Politik in Berlin nicht als geschichts- und voraussetzungslos zu begreifen. So wird den Bürgern, die an der Spreepromenade entlanggehen, die Leistung der Mütter und Väter des Grundgesetzes wieder bewusst. In den wenigen Monaten vom September 1948 bis zum Mai 1949 haben sie im Parlamentarischen Rat eine Verfassung entworfen, die bis heute Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Deutschland sichert. Zugleich wird durch die klare, von allen Zusätzen und Ergänzungen freie Formulierung aus dem Jahre 1949 das Wesentliche des Grundgesetzes und der Grundrechte aller Deutschen im wortwörtlichen Sinne transparent und auf eine neue, eindringliche Weise sichtbar gemacht.

Andreas Kaernbach


Installation
Glasstelen und Cortenstahlbänder
526.631 €
Kolloquium

Jakob-Kaiser-Haus
Hof Haus 3, Spreepromenade
öffentlich zugänglich/einsehbar

Künstler : Dani Karavan

Dani Karavan, geboren 1930 in Tel Aviv, lebt und arbeitet in Tel Aviv, Paris und Florenz. Er gilt als einer der bedeutendsten internationalen Künstler für großformatige begehbare Kunstwerke und gestaltete Landschafts- und Stadträume. Berühmt wurde sein Negev-Monument mit begehbaren Betonskulpturen in der Negev-Wüste. Auch Deutschland ist Dani Karavan mit zahlreichen Werken präsent, u.a. mit der Skulptur „Ma’alot“ auf dem Heinrich-Böll-Platz in Köln (1980-86), mit der „Straße der Menschenrechte“ vor dem Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg (1989-93), mit dem Garten der Erinnerungen in Duisburg (1996-1999), mit dem „Grundgesetz 49“ am Jakob-Kaiser-Haus in Berlin (1997-2003) und dem Mahnmal zur Erinnerung an die von den Nationalsozialisten ermordeten Sinti und Roma (1999-2012).

Jakob-Kaiser-Haus

Architektur: Planungsgesellschaft Dorotheenblöcke Berlin
Bauzeit: 1997-2002

Deutscher Bundestag
Platz der Republik 1
11011 Berlin

Das nach dem langjährigen Bundestagsabgeordneten und Mitbegründer der CDU benannte Jakob-Kaiser-Haus entstand unter Einbeziehung mehrerer kleinerer Altbauten. Die fünf Architekturbüros (Schweger & Partner, Busmann + Haberer GmbH, von Gerkan, Marg & Partner, de Architekten Cie und van den Valentyn) umfassende Planungsgesellschaft Dorotheenblöcke Berlin wurde damit betraut. 2002 fertiggestellt, ist es seither Sitz der Fraktionen und der Bundestagsverwaltung sowie des Bundestagspräsidiums.

Weitere Kunstwerke: Deutscher Bundestag, Berlin