Hannsjörg Voth: Scheitelhaltung 1992

  • Hannsjörg Voth: Scheitelhaltung, 1992 / © VG Bild-Kunst, Bonn; Fotonachweis: BBR / Johannes Stahl (2013)

    Hannsjörg Voth: Scheitelhaltung, 1992 / © VG Bild-Kunst, Bonn; Fotonachweis: BBR / Johannes Stahl (2013)

  • Hannsjörg Voth: Scheitelhaltung, 1992 / © VG Bild-Kunst, Bonn; Fotonachweis: BBR / Johannes Stahl (2013)

    Hannsjörg Voth: Scheitelhaltung, 1992 / © VG Bild-Kunst, Bonn; Fotonachweis: BBR / Johannes Stahl (2013)

Für das 1960 begonnene und 1992 abgeschlossene Großprojekt „Main-Donau-Kanal“ hat es mehrere Überlegungen für künstlerische Wettbewerbe gegeben. Immerhin besteht das Bauwerk auch aus zahlreichen aufwändigen Schleusen. Der letztlich ausgelobte beschränkte Wettbewerb sah nur ein Kunstwerk am jetzigen Standort vor, war dafür jedoch mit 1.500.000 DM Etat eine Besonderheit und wurde nach dem Juryentscheid in einer Wanderausstellung und einem umfangreichen Katalog dokumentiert. Der siegreiche Entwurf von Hannsjörg Voth hat mit seiner „Scheitelhaltung“ keineswegs den Versuch unternommen, die Risiken und Nebenwirkungen des Kanals zu bemänteln, sondern diesen baulichen Eingriffs in die Landschaft und die Situation künstlerisch ausgearbeitet. Mit monumentalen Formen taucht sein Mauerverbund aus keilförmigen Granitblöcken wie ein künstlicher, knapp 200 Meter langer Bergrücken in der mittelfränkischen Landschaft auf. Quer zur Fahrrinne verläuft die „Scheitelhaltung“ wie ein offenes Tor der Wasserstraße. Abgelegen und kaum mit dem Auto erreichbar ist diese „Kunst am Bau“ ein Statement, das sich auf den Kanal und dessen Auswirkungen auf Natur, ökologisches Gleichgewicht und die Landschaft bezieht.
Der Titel kommt nicht von ungefähr. Eine Scheitelhaltung ist der höchste Abschnitt eines Kanalbauwerks – und damit auch eine Passage, die auf zusätzliche Wasserzufuhr angewiesen ist. Voths Arbeit markiert diese ins Gelände eingeschnittene Strecke und auch den höchsten Punkt, den der Kanal zu überwinden hat. Auch wenn dieser Pass vergleichsweise flach ausfällt, handelt es sich um nicht weniger als um eine europäische Wasserscheide zwischen dem in die Nordsee fließenden Main-Rhein-System und der zum Schwarzen Meer strebenden Donau. Die Oberkante seiner monumentalen Mauer nimmt diese höchste Erhebung des flachen Geländes aus der Landschaft auf und führt sie auf 406 Metern über dem Meeresspiegel gewissermaßen als künstliche Horizontlinie in die Landschaft ein. So ist sie – wie andere Skulpturen Voths auch – ein archaisches, geometrisierendes Monument, aber gleichzeitig auch eine Art Messvorrichtung für ihre Umgebung.
Mit dem Tittlinger Granit hat Voth einen Stein gewählt, der zwar in der Nähe der Donau bei Aicha gebrochen wurde, aber nicht aus der Nähe stammt. Die besonders helle Konsistenz war ihn wichtig: sie erinnert – nach den Erläuterung des Künstlers – in seiner Keilform und den möglichen wechselnden Perspektiven beim Befahren des Kanals eher an ein Segel. Vom höher gelegenen Landschaftssattel betrachtet, steigen die Firstlinien der beiden Skulpturenteile zum Kanal hin leicht an und markieren in ihrer vorstellbaren, durch das Kanaltal durchbrochenen Verbindung einen höchsten Punkt in der Landschaft. JS

Weiterführende Literatur Online:
Martin Seidel / Johannes Stahl (Autoren), Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) (Hrsg.): Kurzdokumentation von 200 Kunst-am-Bau-Werken im Auftrag des Bundes von 1980 bis 2010. BBSR-Online-Publikation 13/2014, Bonn, Dezember 2014.

Weiterführende Literatur:
70 Jahre Kunst am Bau in Deutschland, Ausstellungskatalog, hrsg. v. Bundesministerium des Innern für Bau und Heimat und dem Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, Berlin 2020.
Dokumentation Kunst+Kanal, in Mitteilungsblätter 68/69, hg. v. Deutscher Kanal- und Schifffahrtsverein Rhein-Main-Donau und Rhein-Main-Donau AG, Nürnberg 1991. Bearbeitung Curt Heigl.
Hannsjörg Voth, Scheitelhaltung, hg. Josef Kusser Granitwerke, Aicha v. Wald 1993.


künstlerische Baumaßnahme
zweiteiliges, keilförmiges Mauerwerk aus Granitblöcken (Tittlinger Granit)
14 x 3 x 144,20 Meter (Süd); 14 x 2,80 x 43,40 Meter
766.938 €
nicht-offener Wettbewerb / Einladungswettbewerb mit 13 Teilnehmern

Main-Donau-Kanal
Scheitelpunkt des Main-Donau-Kanal
öffentlich zugänglich/einsehbar

Künstler : Hannsjörg Voth

Hannsjörg Voth, geboren 1940 in Bad Harzburg, ist ein wichtiger Vertreter der Land Art. Nach einer Zimmermannslehre und dem Studium an der Staatlichen Kunstschule Bremen ist er seit 1969 als freier Maler und Bildhauer in München tätig. Er erhielt zahlreiche Preise und Auszeichnungen, u.a. Bayerischer Staatspreis für Malerei (1973), den Kunstpreis des Kulturkreises im Bundesverband der Deutschen Industrie und den Biennalepreis Norwegian Print Biennal Fredrikstad (beide 1978) und den Arnold Bode Preis (1980). Mit Projekten und Ausstellungen sowie Filmen international vertreten, hat der Maler und Bildhauer in prominenten Fällen Kunst am Bau realisiert, u.a. am Main-Donau-Kanal (1992) und am Europäischen Patentamt in München (1993-94).

Main-Donau-Kanal Hilpoltstein

Main-Donau-Kanal

Architektur: Rhein-Main-Donau AG
Bauzeit: 1962-1992

Main-Donau-Kanal
bei Pierheim
91161 Hilpoltstein
Bayern

Im 8. Jh. wurde die sog. "Fossa Carolina" zwischen Rezat und AItmühl angelegt, um die Wasserscheide zwischen Nordsee und Schwarzem Meer zu überwinden. 1836-1845 folgte der Ludwig-Donau-Main-Kanal, der heutige Main-Donau-Kanal entstand 1960-1992.