Geißler & Lippert: Unterton 2012
Vor dem Haupteingang des Martin-Gropius-Baus an der Niederkirchnerstraße verlief einst die Berliner Mauer. Sie trennte das im Renaissance-Stil errichtete Gebäude auf dem Boden der Bundesrepublik von dem gegenüberliegenden „Preußischen Landtag“ auf DDR-Boden, der zu DDR-Zeiten erst Sitz der Regierung, dann der Staatlichen Plankommission und Abhörstandort des Ministeriums für Staatssicherheit war und heute als Abgeordnetenhaus von Berlin dient. Zur Dramaturgie dieses Ortes gehört auch die Nähe zur ehemaligen Gestapo-Zentrale und zur Gedenkstätte „Topographie des Terrors“.
Als im Rahmen des 2009 von der Regierung beschlossenen Konjunkturpakets II zur Gebäudesanierung am Gropius-Bau Kunst realisiert werden sollte, entschieden sich die Verantwortlichen als Standort nicht für die Haupteingangsseite, sondern für den gepflasterten Platz auf der Rückseite, der heute fast ausschließlich als Verbindungsstück zwischen der Stresemannstraße und der Topographie-des-Terrors-Gedenkstätte fungiert.
Den Wettbewerb hat das Künstler-/Architektenduo Ina Geißler und Fabian Lippert mit einer Klanginstallation gewonnen. Damit wählte das Preisgericht einen Entwurf, der von der Ursprungsidee eines Außenkunstwerks, „das mittig auf dem Südplatz vor dem Südeingang platziert werden kann“, insofern abweicht, als dort von einer „Platzierung“ im üblichen Sinn keine Rede sein kann. Die einzige optische Besonderheit ist die – nicht unmittelbar auf ein Kunstwerk hindeutende – gesteigerte Anzahl von Gullydeckeln.
Eben diese acht kreisförmig angelegten Gullyschächte sind Teil und Voraussetzung der Installation „Unterton“. In die Schächte montierte Magnethämmer schlagen gegen die gusseisernen Gullydeckel und erzeugen metallische Rhythmussequenzen. Ausgelöst werden die unterschiedlichen hellen Hammertöne durch eine Bilderkennungssoftware, die den Platz beschirmt und auf die Bewegung der Passanten reagiert. Je größer die Nähe zum Mittelpunkt des Platzes oder je größer die Anzahl der passiv und aktiv das akustische Geschehen bestimmenden Menschen, desto komplexer sind die vom Computer zufällig ausgewählten Klangkonstellationen, Tempi und Rhythmen. Die optisch nicht vorbereitete und deshalb unvermittelte akustische Emanation bremst und irritiert den Bewegungsablauf des Vorbeikommenden und macht aus dem Ort, der eher die Form als die Funktion eines Platzes hat, tatsächlich einen um sich selbst zentrierten Raum. Die Installation ist interaktiv und bringt Wahrnehmungsprozesse in Gang. Was beim Betreten des Platzes entsteht sind keine euphonischen oder kakophonischen Großstadtsinfonien und keine fertigen akustischen Sinngebilde. Es sind einfache Klopfgeräusche, die sich weniger durch künstlerischen Ausdruck, Melodie oder Rhythmus auszeichnen, vielmehr aufmerksam machen, Zeichen geben, Signale senden. Die Passanten können auf das Angebot eingehen und sich der Wahrnehmung hingeben.
Die Klangbilder sind eindringlich und durchaus so angelegt, dass sie „innere Bilder“ und Vorstellungen evozieren und neue Eindrücke und Erlebnisse vermitteln. Ob das klöppelnde Hämmern positive oder negative Assoziationen hervorruft ist von der ästhetischen Sensibilität der Rezipienten abhängig. „Unterton“ stellt zwar keinen unmittelbaren Bezug zur Architektur und zum Ort des Martin-Gropius-Baus her. Indem sich das Werk aber in der Nähe geschichtsträchtiger Orte befindet, verliert es doch den Status einer völlig autonomen, ganz auf sich beziehungsweise auf die jeweilige individuelle Wahrnehmung gestellten konkreten Klangskulptur. Die unverhofften Töne haben grundsätzlich etwas Geheimnisvolles, Bedeutungsvolles und Subversives an sich. Wegen der Nachbarschaft ist es bei der unterirdischen Herkunft der Klopfgeräusche kaum möglich, Gedanken an die Geschichte auszublenden und die historische Komponente neben der zeitenthobenen poetischen zu übersehen – beziehungsweise zu überhören. MS
Weiterführende Literatur Online:
Martin Seidel (Autor), BMVBS (Hrsg.): Dokumentation von 50 Kunst-am-Bau-Werken, BMVBS-Online-Publikation 05/2013.
Weiterführende Literatur:
Kunst am Bau. Projekte des Bundes 2006-2013, hrsg. v. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB), Berlin 2014, S. 132-135.
Soundarbeit
unterirdische Soundinstallation aus acht Gullyschächten und elektromagnetischen Hämmern
ca. 520 m²
78.000 €
nicht-offener Wettbewerb nach Bewerbungsverfahren mit 10 Teilnehmern
Martin-Gropius-Bau
Vorplatz Südeingang
öffentlich zugänglich/einsehbar
Künstlergruppe : Geißler & Lippert
Geißler & Lippert steht für die künstlerische Zusammenarbeit der Künstlerin Ina Geißler und des Architekten Fabian Lippert.
Ina Geißler, geboren 1970 in Hamburg, ist bildende Künstlerin. Sie studierte von 1992 bis 1998 an der Hochschule der Künste Berlin und war Meisterschülerin von Mawan Kassab-Bachi. Ina Geißler erhielt zahlreiche Stipendien, u. a. des Berliner Senats für Wissenschaft, Forschung und Kultur, und war an Ausstellungen im In- und Ausland beteiligt.
Fabian Lippert, geboren 1972 in Augsburg, studierte zwischen 1992 und 1999 Architektur an der Universität Dortmund, der ETSAB Barcelona und an der Hochschule der Künste Berlin. 2003 gründete er ein eigenes Architekturbüro in Berlin, im selben Jahr nahm er erstmals gemeinsam mit Ina Geißler an einem Wettbewerb teil. 2011 gewann das Künstler-/Architektenduo den ersten Preis im Kunst-am-Bau-Wettbewerb für den südlichen Vorplatz des Martin-Gropius-Baus in Berlin.
Martin-Gropius-Bau Berlin
Architektur: Martin Gropius
Bauzeit: 1877-1881
Martin-Gropius-Bau
Niederkirchnerstraße 7
10963 Berlin
Der Martin-Gropius-Bau wurde als Kunstgewerbemuseum errichtet und nach dem Ersten Weltkrieg vom Museum für Vor- und Frühgeschichte und der Ostasiatischen Kunstsammlung genutzt. Nach schweren Beschädigungen während des Zweiten Weltkrieges wurde der Bau 1978-81 durch die Architekten Winnetou Kampmann und Ute Weströmerst wiederaufgebaut und als Ausstellungsgebäude hergerichtet. Ende der 1990er-Jahre sowie zuletzt 2009-2011 wurde er durch Pitz & Hoh saniert.