Ferdinand Kriwet: Statistik der Sozialpolitik 1983
Für das Kantinengebäude des Bundesarbeitsministeriums, einen umgenutzten Kasernenbau der 1930er-Jahre, war Anfang der 1980er-Jahre der Einbau eines Aufzugsschachts nötig geworden. Das Treppenhaus hatte damit etwas weniger Raum, erhielt aber Wandfläche, die sich für eine künstlerische Arbeit an diesem viel frequentierten Ort bestens eignete. Mit dem Auftrag an Ferdinand Kriwet verknüpfte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Erwartung, in dieser vielansichtigen Situation eine aspektreiche und für das Ministerium relevante künstlerische Aussage ansiedeln zu können.
Ferdinand Kriwet hat für einen der konkreten Poesie zugerechneten Künstler verhältnismäßig häufig Kunst am Bau realisiert. Dabei beschäftigt ihn hier (wie übrigens in seinen experimentellen Radiosendungen auch) die Möglichkeit, relativ viele Menschen zu erreichen. Ähnlich wie in der Cafeteria der Ruhr-Universität Bochum beispielsweise sind dann die Gestaltungen weitaus eher auf Lesbarkeit hin angelegt. Kompromisslos in der Form bleibt er allerdings: Seine zu Ornamenten angeordneten Worte sperren sich gegen eine Erwartung, die aus Fließtexten rasch ein Kondensat an Bedeutung herausziehen möchte. Dabei sind die von ihm gewählten Worte keineswegs beliebig, sondern als letztlich poetische Texte sowohl bedeutungsgeladen als auch sorgfältig gesetzt.
Für die Arbeit im Bundesministerium für Arbeit und Soziales existiert ein Entwurf, der nicht nur ein Schlaglicht wirft auf die Präzision seiner Wortwahl, sondern auch noch zeigt, dass er bis zur realisierten Form noch redaktionelle Veränderungen vorgenommen hat: „Statistik der Sozialpolitik“ vereinigt eine Sammlung von Schlüsseldaten der sozialen Gesetzgebung für die Arbeitswelt („1927 Arbeitslosenversicherung“), aber auch Grundbegriffe („Streik“, „Wandel“). Gleichwohl organisiert Kriwet dieses Material in Viertelkreisen, die sich je nach Ansichtsmöglichkeit zur Rundform schließen oder den Kreis offen lassen. Diese Darstellung hat nicht nur eine Tradition in den häufig vorkommenden Rundformen im Werk Kriwets. Das Kuchendiagramm ist seit jeher ein grafisches Darstellungsmittel, um statistisches Material aufzubereiten.
Wenn man das nicht sehr weitläufige Treppenhaus begeht, wiederholen sich Begriffe und Viertelkreise mandalaartig, in den Viertelkreisen wechseln sich auf verschiedenen Etagen Negativ- und Positiveffekte zwischen Rot und Weiß ab. Ihre Anordnung begleitet die Steigung der Treppen – und einen möglichen Reflexionsprozess, der nicht nur an den aufgelisteten Begriffen und Daten verharren möchte. M.S./J.S.
Weiterführende Literatur Online:
Martin Seidel / Johannes Stahl (Autoren), Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) (Hrsg.): Kurzdokumentation von 200 Kunst-am-Bau-Werken im Auftrag des Bundes von 1980 bis 2010. BBSR-Online-Publikation 13/2014, Bonn, Dezember 2014.
Installation
Lack auf Metall
20 Viertelkreise mit je 90 cm Radius
23.174 €
Direktvergabe
Haus 24 (Kantine)
Treppenaufgang im Gebäudeinneren
nicht öffentlich zugänglich/einsehbar
Künstler : Ferdinand Kriwet
Ferdinand Kriwet, geboren 1942 in Düsseldorf, gestorben 2018 in Bremen, war Künstler und Hörspielautor. Seine künstlerischen Schwerpunkte lagen in den Bereichen „Sehtexte“, visuelle Poesie, Neonschriften, visuelle Leitsysteme und Mixed-Media-Installationen. Kriwet, der als einer der Pioniere der Medienkunst gilt und internationale Preise für seine Hörspiele erhielt, hat mehrere Kunst-am-Bau-Projekte realisiert (u. a. für das Bundesumweltministerium in Bonn, das Postamt Essen und den Landtag NRW).
Haus 24 (Kantine) Bonn
Architektur: N. N.
Bauzeit: 1936 / 2012
Bundesministerium für Arbeit und Soziales
Rochusstraße 1
53123 Bonn
Nordrhein-Westfalen
Das vom Arbeitsministerium als Kantine genutzte Haus 24 (ehemals Haus V) ist ein Bestandsbau der ehemaligen Troilokaserne von 1936. Bereits Anfang der 1980er-Jahre wurde das Gebäude umgebaut, eine grundlegende Sanierung mit Anbau eines Speisesaals an der Südseite erfolgte 2010-2012 durch das Planungsbüro Rohling aus Osnabrück.