Christa Näher: Die vier Elemente 1994
Auch im Herrenzimmer als einem der beiden Gesellschaftsräume im Erdgeschoss der Residenz herrscht der rigide Gestaltungswille des Architekten. Nicht nur der helle Boden, die Türen, die Decke sind von größter modularer Strenge und abstraktem Formwillen geprägt, sondern auch die Kubaturen der in Reih und Glied stehenden schweren Sessel. Die von Ungers geschaffenen Rahmenbedingungen begrenzen hier wie an den anderen vier Kunststandorten der Residenz von vornherein die Entfaltungsmöglichkeiten einer freien, autonomen Kunst. Er schafft aber auch hier Voraussetzung für eine Symbiose von Bau- und Bildkunst und ein neu auflebendes altmeisterliches Miteinander der seit Moderne oft getrennte Wege gehenden Architektur und Kunst. Für diesen Standort beauftragten O.M. Ungers und seine Tochter Sophia Ungers als Kunst-am-Bau-Verantwortliche die Malerin Christa Näher, für die vier Wandecken Gemälde zu schaffen. Die Künstlerin entschied sich für eine Darstellung der vier Elemente Luft, Wasser, Erde und Feuer. Rein technisch gesehen handelt es sich bei dieser Malerei um Tafelbilder. Denn es sind Ölgemälde auf Leinwand. In der Wirkung, Zweckbestimmtheit und der exklusiven Architekturbezogenheit, in der sich die paarweise über Eck gehängten acht Ölgemälde bündig in die ihnen zugewiesenen Wandfelder einfügen, aber sind sie im Prinzip immobile Wandbilder und integrale Bestandteile des Raumes.
Die Bilder gehen typisch für Christa Nähers Œuvre ins Abstrakte und Visionäre. Von der zirkulierenden Luft hin zur Feuersbrunst spielt Näher das klassische, bis heute in der Kunst beliebte Thema der Elemententheorie in dramatisch wechselnden Stimmungen durch. Gegenüber den harten Bandagen des architektonischen Quadratrationalismus zeigt sich ihre informelle Malerei resistent. Der tektonisch völlig entschwindende Mystizismus der Feuer-, Wasser-, Luft- und Erdenbilder entgrenzt und erweitert das Herrenzimmer illusionistisch. Thematisch ergeben sich sinnfällige Analogien allein schon über die magische Vierzahl und über die mystische Bedeutung geometrischer Grundformen. MS
Weiterführende Literatur Online:
Martin Seidel (Autor), BMVBS (Hrsg.): Kunst am Bau bei Deutschen Botschaften und anderen Auslandsbauten. BMVBS-Online-Publikation 11/2011, S. 226 ff.; URL: https://d-nb.info/1019716185/34 (PDF; abgerufen am 13.02.2023)
Weiterführende Literatur:
Sophia Ungers: Kunst, in: Deutsche Botschaft Washington. Neubau der Residenz – German Embassy Washington. The New Residence. O.M. Ungers, Stuttgart 1995, S. 41-55.
Botschaften. 50 Jahre Auslandsbauten der Bundesrepublik Deutschland, hg. v. Olaf Asendorf, Wolfgang Voigt und Wilfried Wang, Tübingen, Berlin 2000, S. 142-145.
Martin Seidel: Dialog mit der Welt – Kunst am Bau bei Auslandsbauten, in: Kat. Ausst. 70 Jahre Kunst am Bau in Deutschland, Berlin München 2020, S. 248-277, S. 260 f.
Wandarbeit
Öl auf Leinwand
je 177 x 250 cm
122.710 €
Direktvergabe
Deutsche Botschaft Washington - Residenz
Herrenzimmer
nicht öffentlich zugänglich/einsehbar
Künstlerin : Christa Näher
Christa Näher (*1947 in Lindau am Bodensee) ist Malerin und Zeichnerin. Sie studierte an der Hochschule der bildenden Künste in Berlin, wo sie Meisterschülerin bei Marwan Kassab-Bachi war. Neben Gemälden und autonomen Zeichnungen umfasst ihr Œuvre auch Illustrationen, Objekte, szenographische Arbeiten, Filme und Fotos sowie literarische Arbeiten. Ihre Werke sind weltweit in privaten und öffentlichen Sammlungen vertreten und regelmäßig auf internationaler Ebene in Ausstellungen zu sehen; u.a. war Näher 1992 Teilnehmerin der Documenta in Kassel. Näher erhielt zahlreiche Preise, darunter den Karl-Ströher-Preis (1988), den Konstanzer Kunstpreis (1988), den Kunstpreis der Stadt Koblenz (1989), den 1822-Kunstpreis (2002) sowie den Hans-Thoma-Preis (2019). Von 1987 bis 2013 war sie Professorin für Malerei an der Städelschule Frankfurt, wo sie seit 2019 als Honorarprofessorin tätig ist. Christa Näher lebt in Wolfegg.
Deutsche Botschaft Washington - Residenz Washington DC 20007
Deutsche Botschaft Washington - Residenz
Architektur: Ungers, Oswald Mathias
Bauzeit: 1992-94
Botschaft der Bundesrepublik Deutschland
4645 Reservoir Road NW
Washington DC 20007
Vereinigte Staaten von Amerika (USA)
Für den Neubau der Residenz wurde 1982 ein Architektenwettbewerb ausgelobt, den letztlich Oswald Mathias Ungers für sich entschied. Im Dezember 1991 wurde die Baugenehmigung erteilt, Mai 1992 war Baubeginn und im August 1994 war der Bau fertiggestellt. Die Übergabe erfolgte September 1994.